25.09.2014, Gestrandet in Ritsem

Über Nacht ist noch etwas Schnee gefallen, zum Glück nur ein paar Zentimeter hoch. Am Morgen ist es noch sehr stürmisch. Beim Zusammenpacken der Ausrüstung müssen wir aufpassen, dass uns nichts verlorgen geht. Wir halten uns nicht lange auf und machen uns mit unseren nassen Schuhen wieder auf den Weg. Bis Staloluoktastugorna ist es noch ein Stück. Wir rechnen mit 6-10 Kilometern. Da wir nicht auf direktem Wege gehen können, sondern ein paar Berge und Seen umrunden müssen, lässt sich die Entfernung anhand der Karte nur grob schätzen. Zuerst müssen wir am 984 Meter hohen Unna Liemak vorbei, der inzwischen komplett eingeschneit ist. Wir wollen etwa auf halber Höhe über die Nordflanke gehen, uns dort einen Überblick über die Gegend verschaffen um dann einen möglichen Weg zwischen den vielen westlich des Berges liegenden Seen hindurch zu finden.

Beim Weg über den Berg stehen wir mehrmals knietief im Schnee. Wieder erweisen sich die Trekkingstöcke als sehr nützlich. Nicht nur, um zu prüfen wie tief die Schneedecke ist, sondern auch beim bewältigen rutschiger Passagen. Es ist den ganzen Tag über sehr stürmisch. Obwohl es nicht mehr schneit, führt der Wind viele kleine Eiskristalle mit sich, die sich im Gesicht wie Nadelstiche anfühlen. Auch wenn das alles noch nicht einmal annähernd mit den Verhältnissen im Winter Lapplands zu vergleichen ist, so ist es doch ein Vorgeschmack und eine völlig andere Situation, als zu Beginn unserer Tour. Auch die Anforderungen an unsere Ausrüstung, Kleidung und Funktionswäsche haben sich geändert. Als wir vor einigen Tagen an der Ostgrenze des Sarek-Nationalparks bei schönstem Sommerwetter unsere Ausrüstung den Bassoajvve hoch geschleppt haben, kamen wir ordentlich ins Schwitzen. Jetzt stapfen wir den zweiten Tag mit nassen Schuhen durch den Schnee und sind froh, dass unsere Socken und Unterwäsche aus Merinowolle uns warm halten.

Auch in anderer Hinsicht macht es uns das Wetter nicht leicht. Die Sicht ist stark eingeschränkt, so dass die umliegenden Gipfel kaum zu erkennen sind. Das macht die Orientierung sehr schwierig. Zumal viele der vor uns liegenden kleineren Seen von Schnee und Eis bedeckt und damit aus der Ferne kaum von überfrorenen Sumpfgebieten oder der restlichen Umgebung zu unterscheiden sind. Es kommt, wie es kommen muss…

Wir müssen mehrmals ein Stück von der geplanten Route abweichen, um zu einer Position zu gelangen, von der wir uns besser orientieren können. Letzten Endes laufen wir so wieder etliche Meter (und auch Höhenmeter) mehr, als eigentlich nötig. Unser Gepäck muss zwar jetzt einige Kilo leichter sein als zu Beginn der Wanderung, aber unsere Kraftreserven haben in gleichem Maße nachgelassen. Beim Abstieg vom Unna Liemak rutsche ich mehrmals aus und lande auf dem Hosenboden. Es ist gar nicht so einfach, dann wieder aufzustehen, ohne erst den Rucksack abzusetzen. Unterhalb des Berges weicht die geschlossene Schneedecke dann wieder dem Flickenteppich, den wir schon vom Vortag kennen.

Als wir endlich die Gipfel der umliegenden Berge sehen können, haben wir die korrekte Richtung wieder. Ein Stück vor uns liegt ein ziemlich großer See. Eindeutig der Größte in dieser Gegend und damit ganz klar der Gieddávrre. Damit ist auch klar, dass wir sehr weit nach Süden abgekommen sind. Eigentlich wollten wir uns westlich halten, bis wir auf den Pfad von Arasluoktastugorna nach Staloluokta treffen. Stattdessen haben wir mal wieder ungewollt die unwegsame und anstrengendere Variante erwischt. Abgesehen davon ist der Weg aber korrekt. Wahrscheinlich kommt man in dieser Gegend heraus, wenn man den Padjelanta südlich des Álájávrre durchquert.

Nachdem wir den Gieddávrre hinter uns gelassen haben, dauert es nicht mehr lange, bis die ersten Anzeichen der Zivilisation in Sicht kommen. Es geht noch einmal einen sanften Anstieg hinauf und kurz darauf blicken wir hinunter in die Bucht des Virihávrre. Der See ist mit einer Fläche von 112 km² der größte natürliche See des Padjelanta-Nationalparks. Unter uns liegt Staloluokta. Luftlinie vielleicht einen Kilometer entfernt und einige Höhenmeter tiefer. Es scheint fast zum Greifen nah, doch der Weg nach Staloluokta zieht sich ewig lang hin. Der Abstieg zur Bucht führt durch einen Wald und scheint kein Ende zu nehmen. Erst nach knapp 45 Minuten stehen wir vor der Fjällstation in Staloluokta. Wir sind allein. Nicht nur die Betreiber der STF-Hütte haben ihre Saison beendet, auch die ortsansässigen Samen haben sich in ihre Winterquartiere zurückgezogen. Der Schutzraum der Fjällstation ist nicht verschlossen. Wir legen unsere Ausrüstung ab und sehen uns ein wenig in der Siedlung um. Noch liegt hier kein Schnee, aber das wird sich bald ändern. Es ist stark bewölkt und sehr stürmisch.

Am späten Nachmittag werden wir von einem Helikopter abgeholt. Es hätte uns nicht überrascht, wenn der Heli aufgrund des stürmischen Wetters nicht gekommen wäre. Im Tiefflug geht es über die Berge des Padjelanta nach Norden. Es ist unser erster Flug mit einem Helikopter und es macht verdammt viel Spaß. Durch die geringe Flughöhe gibt es viel zu sehen. Nachdem wir die Berge hinter uns gelassen haben, überfliegen wir einen der größten Stauseen Schwedens, den Akkajaure. Hier wird der Wind so stark, dass wir keinen Meter mehr vorwärts kommen. Unser Pilot fängt an zu fluchen, aber die einzigen Worte, die wir verstehen sind „verdammter Mist“. Erst als wir noch tiefer runter gehen, kommen wir ganz langsam wieder vorwärts. Kurz darauf landen wir in Ritsem. Von unserem Co-Piloten erfahren wir, dass hier die Saison ebenfalls schon beendet ist. Wir haben allerdings nicht damit gerechnet, dass der Busverkehr nach Gällivare dann komplett eingestellt wird. Wir sitzen vorläufig fest.

Der Co-Pilot setzt sich mit dem STF-Manager der hiesigen Fjällstation in Verbindung. Dieser verspricht, uns ein Quartier für die Nacht zu besorgen und uns beim Transfer nach Gällivare behilflich zu sein. Also tragen wir unsere Ausrüstung den Hügel hinauf und klopfen am Hauptgebäude des STF. Und an den meisten anderen Hütten. Umsonst. Ans Telefon geht der STF-Manager an diesem Abend auch nicht mehr…

Der ganze Ort ist wie ausgestorben. Ohne eigenes Fahrzeug ist man hier außerhalb der Saison erledigt. Neben den beiden Piloten sind nur noch eine Handvoll Leute in Ritsem. Hauptsächlich Bergleute, die zur Jagd hier sind und im „Betriebsferienheim“ wohnen. Direkt neben den STF-Gebäuden befindet sich ein RV-Park. Hier treffe ich einen älteren Herren und schildere ihm unser Problem. Er war ebenfalls zur Jagd hier und spielt mit dem Gedanken, in den nächsten Tagen wieder nach Gällivare zu fahren. Vielleicht morgen, vielleicht auch später. Er weiß noch nicht wann, würde uns aber eventuell mitnehmen wenn es soweit ist. Immerhin ein Hoffnungsschimmer.

Bis dahin genießen wir die Annehmlichkeiten der Zivilisation. Genauer gesagt: die beheizten Duschräume der Anlage. Statt dem guten Ramlösa Bergzapf der letzten Wochen gibt es nun wieder Leitungswasser. Da sich der Typ vom STF anscheinend in seiner Hütte verschanzt hat und außer uns niemand hier ist, bleiben wir die Nacht über in den beheizten Räumen, duschen ausgiebig und reinigen unsere Ausrüstung so gut es geht.


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